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Interview mit Ansgar Oberholz


Im Jahr 2005 eröffnete Ansgar Oberholz gemeinsam mit Koulla Louca das St. Oberholz: Ein heute international bekanntes Creative Hub in Berlin-Mitte, das als Meilenstein in der Geschichte des Coworkings angesehen wird. Seit 2019 betreibt Ansgar Oberholz auch den Coworking Bereich im B-Part Am Gleisdreieck. Als Experte für Themen wie digitale Transformation und New Work wollten wir von ihm wissen, wie er mit der aktuellen Situation umgeht und wie COVID-19 die Arbeitswelt verändert.

Lieber Ansgar, die Ausbreitung von COVID-19 betrifft uns alle, im Privat- und im Arbeitsleben. Wie macht sich die aktuelle Situation in deinem Business und auch im B-Part Am Gleisdreieck bemerkbar?

Unser Business ist von der Idee geprägt, dass sich Menschen zufällig oder geplant begegnen und gemeinsam Etwas erschaffen. Das ist der Kern all unserer Geschäftsbereiche – und da das natürlich aktuell nicht möglich ist, sind wir auch in allen Bereichen betroffen.

Neue Verordnungen wurden teilweise im 48-Stunden-Takt erlassen, wir mussten immer wieder umbauen und alles darauf anpassen. Dann ging es nicht mehr: Wir haben uns dazu entschlossen, das B-Part vorübergehend zu schließen und in unseren St. Oberholz Cafés den Coworking Tagesbetrieb einzustellen – um aus dem Reagieren ins Handeln zu kommen und das Team sowie unsere Kunden zu schützen. Diese Entscheidung haben wir getroffen, um der Krise mit klarem Kopf zu begegnen. Member können die Räumlichkeiten weiterhin nutzen, da die Büronutzung nicht von den aktuellen Verordnungen betroffen ist.

Viele Selbstständige versuchen den Betrieb aufrecht zu halten. Wie stellt ihr euch der aktuellen Herausforderung?

Einige Unternehmen werden jetzt zum Heilfasten gezwungen. Wer das schon einmal gemacht hat weiß, dass es in den ersten Tagen richtig, richtig hart ist. Nach ein paar Tagen bekommt man jedoch einen sehr klaren Kopf und kann dadurch wieder Entscheidungen fällen. So wird es vielen Unternehmen gehen – auch uns. Auf den ersten Schock folgt die Chance, alles zu hinterfragen und sich auf das Relevante zu fokussieren.

Das Schöne ist, dass wir im engen und vertrauten Austausch mit unseren Membern stehen und versuchen Sorgen gleich abzufangen. Mit individuellen Vereinbarungen, Rabatten und gestundeten Mitgliedsbeiträgen holen wir für alle das Bestmögliche raus – da zeigt sich, was Community ausmacht und wo der Unterscheid zu einem normalen Büro liegt! Die Situation schweißt uns stärker zusammen, es gibt eine sehr hohe Solidarität unter den Membern, unserem Team und dem Unternehmen gegenüber, das ist einfach magisch zu sehen.

Welchen Rat gibst du Unternehmen und Start-Ups für die aktuelle Zeit?

Diese Krise zerstört vielleicht das, was vor drei Wochen noch als schlaues Business Modell oder sinnvolles Produkt angesehen wurde. Gleichsam entsteht eine unglaubliche Chance, diese Delle in der Wirtschaft und den Schwung nach oben mitzunehmen. Es werden neue Bedürfnisse entstehen, die wiederum neue Business Modelle und gefragte Produkte hervorbringen werden.

Ein großer Fehler wäre es zu glauben, dass nach Ostern alles wieder halbwegs „normal“ sein wird. Es wird noch lange Zeit nachhallen, radikale Entscheidungen müssen jetzt mutig getroffen werden, auch wenn man sich damit unbeliebt macht. Junge Gründer können stark daran wachsen und jeder, der bereits eine Krise durchgestanden hat, ist danach erfahrener. Krise ist Beute!

Unternehmen nutzen ihre Online-Präsenz aktuell zu Hilfe- bzw. Spendenaufrufen. Auch ihr habt Mitte März ein Video an eure Community gerichtet. Was war der Hintergrund dafür?

Viele denken, das Oberholz sei so irre erfolgreich. In gewisser Weise ist es das, aber wir sind immer noch ein Café und unser Businessmodel ist nicht auf Profit-Maximierung ausgelegt, sondern auf Community. Darum war es uns wichtig, dieses Video in die Welt zu schicken, um allen klar zu machen: Auch wir brauchen Hilfe. Für Viele ist das Oberholz ein Lieblingsort, eine Art Berliner Urgestein und darum kam unheimlich viel Positives zurück, wofür wir unglaublich dankbar sind. Es ist einfach wichtig, mit der Community in Verbindung zu bleiben und eine gute Möglichkeit, verschiedene Communities wie Café Stammgäste und Coworking Member zu verbinden.

Du hast es bereits selbst gesagt: Coworking lebt auch vom physischen Austausch. Was bedeutet das digitale Arbeiten für die Coworking-Branche?

Online Community Management gewinnt enorm an Bedeutung. Wir leiten zum Beispiel Worksprints an, in denen sich Member abwechselnd an verschiedenen Aufgaben versuchen. Man verabredet sich, tauscht sich aus, legt ein Ziel fest und alle arbeiten 25 Minuten daran. Anschließend tauschen sich alle für 5 Minuten aus, wie ein kurzes Gespräch an der Kaffeemaschine, dann wiederholt sich die Sequenz. Diese „Tomato-Technik“ ins Digitale zu übertragen und unbekannte Menschen zusammenzubringen ist eine tolle Chance. Davon werden wir mit Sicherheit noch mehr erleben.

Unser Glück ist, dass wir bereits ein recht digitales Unternehmen sind, aber auch wir lernen immer weiter, wie man diesen digitalen Layer noch stärker betonen kann. Member virtuell zusammenzuführen ist noch eine Herausforderung für die Coworking-Branche und bietet Potential. Auf der anderen Seite, bei aller Dezentralität: Die menschliche Begegnung im realen Raum wird wichtiger denn je. Wer seit zwei Wochen alleine von Zuhause arbeitet, sehnt sich nach realem Austausch. Ich glaube, das letzte Mal musste ich Anfang der 90er Jahre, bevor die E-Mail kam, so viel telefonieren, wie im Moment…

Wie schätzt Du die aktuelle Arbeitssituation für Unternehmen ein und welche Auswirkungen ergeben sich daraus auf die Coworking-Branche?

Viele Unternehmen konnten ihre Leute ins Home-Office schicken, weil sie gut aufgestellt sind. Plötzlich sieht man, dass vieles auch dezentral und remote funktioniert, von dem man noch vor kurzem behauptete, dass es unmöglich umsetzbar sei. Gleichzeitig wird aber auch klar, dass 100% Home-Office nicht die Lösung ist. Coworking wird sich als dritter Ort komplementär zu Büro und Home-Office herausstellen und dadurch einen Aufschwung erleben. Wer die technische Entwicklung und die Implementierung neuer Arbeitsformen bisher versäumt hat, seine Mitarbeiter also gar nicht remote arbeiten lassen kann, erlebt nun schmerzhafte Ausfälle. Diese Unternehmen müssen anders in die Zukunft gehen.

Welche der Veränderungen haben über Corona hinaus Berechtigung?

Ich glaube, man wird nach Corona nicht mehr für ein Zwei-Stunden-Meeting von Berlin nach Frankfurt fliegen, weil wir gelernt haben, dass es während der Krise auch sehr gut anders ging. Die Arbeitswelt wird davon geprägt sein, die Versäumnisse der Digitalisierung aufzuholen und mehr Freiheit und Selbstbestimmtheit ins Arbeiten zu bringen. Mehr Freiraum bei der Wahl von Arbeitsort und Arbeitszeit wäre ein tolles Learning aus dieser Situation.

Viele sprechen auch davon, dass die aktuelle Krise unsere gesamte Gesellschaft verändern wird. Welche Chancen und Learnings können aus dieser Phase gezogen werden?

Mir kommt als erstes das Wort „Vergänglichkeit“ in den Sinn. Ich glaube und hoffe, dass jedem bewusst geworden ist, wie vergänglich und wenig selbstverständlich alles ist. Zu begreifen, dass die Sicherheit auch so schnell weg sein kann – dieses Gefühl wird viele Menschen in der Zeit nach Corona dazu bewegen, anders oder auch weniger zu Arbeiten. In vielen Branchen wird außerdem das Risikomanagement neu definiert werden müssen. Ich glaube, dass wir alle, Unternehmen wie Einzelpersonen, unser Handeln komplett neu denken werden und mehr darauf ausrichten, worauf es im Kern wirklich ankommt, was geschützt werden muss und was nur wichtig erscheint. Und wenn die aktuelle Krise auch dazu beiträgt, dass man künftig noch mehr Cashless zahlen kann, bin ich auch nicht traurig darüber. (lacht)

Zum Abschluss: Was wünscht du dir in dieser Zeit von eurer Community?

Ich kann nur sagen, dass uns die Oberholz Community bereits viel geschenkt hat. Damit meine ich sowohl unsere Gäste, Member, als auch unser Team. Ich kann mir höchsten wünschen, dass es so weitergeht. Die Solidarität, das Engagement und auch die Selbstverständlichkeit, in dieser Krise dabei zu sein, Entscheidungen mitzutragen und nicht den Kopf in den Sand zu stecken, das ist einfach großartig. Ich wünsche mir, dass diese Energie nicht verloren geht.

Vielen Dank für dieses Interview!